Fakt ist, dass das Tempo, in dem sich Geschäftsprozesse wandeln, selbst die größten Experten überrascht hat: „Die Kunden ändern ihr Verhalten schneller als die Strukturen dahinter es abbilden können“, räumt Dominik Rief, Länderchef Österreich und Schweiz beim Pure Player Zalando ein.

Fabian Kienbaum, geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Beratung, hat kürzlich 2015 zu dem Jahr erklärt, in dem die Digitalisierung als elementare Herausforderung erst in den Chefetagen angekommen sei. Wenn jetzt der Entwicklungsbedarf erkannt wird, ist das eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht folgt sogleich: Egal, ob Unternehmen online mehr verkaufen und schneller liefern, die Kunden im Laden mobil ansprechen oder das E-Recruitung ausbauen möchten: Digitale Fitness lässt sich nicht durch ein paar IT-Fachkräfte verbessern. Der Trainingsplan gilt für alle Abteilungen, vom Einkauf bis zum Marketing, übersetzt man das Buzzword Digitalisierung in schnelle Produktentwicklung, radikale Kundenorientierung und Datenfokussierung.

„Historisch gewachsene Jobprofile mit entsprechend zementierten Basisqualifikationen gehören heute regelmäßig auf den Prüfstand“, glaubt daher Oliver Wippich von der Personalberatung Hays. Dabei macht er nicht mal vor seinem Rekrutierungs-Fokus, den IT-Fachkräften, Halt. „Klassischerweise sind sie es, die sich heute mit der Auswertung digitaler Daten beschäftigen. Big Data Spezialisten würde ich sie aber noch nicht nennen.“ Denn um das zu sein, müsse man Mathematik, Statistik und IT verstehen, gleichzeitig aber sehr kreativ die Fülle der Daten für neue Geschäftsmodelle zu erheben und zu nutzen wissen. Nach dem Motto: Welche Daten könnte ich haben wollen? „Ausbildungsgänge für Data Scientists gibt es schon, aber noch keine Absolventen“, sagt Wippich. Was aktuell zu verschmerzen sei, da „die deutschen Firmen noch bei den Vorarbeiten sind.“

Die Business-Intelligence-Direktorin bei der Otto Group, Sabrina Zeplin, ist sich sicher, dass ein riesiger Bedarf an Big Data Scientists entstehen wird. Bislang gehören sie noch nicht zu den häufig gesuchten Profilen. Vielmehr sind es unter anderem Security- und Cloud-Spezialisten, die den Handel laut Hays-Fachkräfteindex zu der Branche machen, in der die Nachfrage nach IT-Fachkräften seit 2013 am stärksten gestiegen ist – nach der IT-Branche selbst. „Die Themen im Handel sind spannend. Wenn die Unternehmen in ihre Personalentwicklung investieren und sich aktiv und sichtbar als Arbeitgeber positionieren, dann sind ihnen keine Grenzen gesetzt“, macht Wippich Mut. Sogenannte Talent Gaps ließen sich zeitweise überbrücken durch externe Dienstleister und Interims Manager.

Der Personalberater Dwight Cribb hat sich schon zu Zeiten des Neuen Marktes spezialisiert auf die Suche von Führungskräften für Internetunternehmen. Seit 2007 registriert er immer mehr Anfragen aus der klassischen Wirtschaft. „Aber erst in den letzten sechs bis acht Monaten habe ich das Gefühl, dass nun auch der letzte auf das Schiff springt und Köpfe sucht, die mit der digitalen Transformation der Wirtschaft umgehen können“, sagt Cribb.

„So manches Handelsunternehmen tut sich in diesem Wettbewerb schwer, weil es in puncto Arbeitsumfeld, sprich Bürogebäude, Standort und Kultur weniger zu bieten hat als große Markenartikler oder New-Economy-Unternehmen.“ Auch das Gehaltsgefüge in der Branche würden manche „Techies“ sprengen. Zu recht, findet Cribb: „Wer eine gute E-Commerce-Plattform entwickelt, schafft einen Umsatzmultiplikator, für den der stationäre Handel sonst ein Vielfaches an Filialen und Mitarbeitern braucht.“

Nach seinem Verständnis ist Digitalisierung dann am nachhaltigsten, wenn Mitarbeiter mit hoher Online-Kompetenz nicht isoliert einen neuen Kanal bespielen, sondern gemeinsam mit handelserfahrenen Praktikern das Unternehmen zum Multi-Channel-Player umbauen. Nur dann lerne jeder von jedem. „Anders haben sie Amazon und Co auch zu wenig entgegenzusetzen. Gerade Lebensmittelhändler müssen doch ihren Trumpf der lokalen Nähe in der Gesamtstrategie ausspielen“, glaubt er. „Alles keine Raketenphysik. Alles erlernbar.“

Jedes dritte Unternehmen arbeitet schon gezielt mit Start-ups zusammen, um den Zugang zu neuen Technologien und der schnellen Umsetzung von Pilotprojekten zu verbessern, zeigt die Deutschlandstudie von der Digitalberatung Etventure und GfK. Auch lernförderliche Arbeitswelten und Wissenstransfersysteme stehen hoch im Kurs. Bringen die Mitarbeiter tatsächlich den digitalen Fortbildungshunger mit, den ihnen eine Umfrage von CSC bescheinigt, dann setzen sie einen positiven Kreislauf in Gang: Denn nach Erkenntnissen der Personalberatung Odgers Berndtson wird der Digitalisierungsgrad eines Unternehmens immer häufiger zum Entscheidungskriterium für qualifizierte Bewerber.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. april 2016 bei lebensmittelzeitung.net.