Mit Veränderungen in ihrem Geschäftsumfeld waren Firmen schon immer konfrontiert, doch kaum im heutigen Tempo. Es mache einen Unterschied, ob jemand mit 200 oder mit 30 Kilometern pro Stunde auf einen zurase, sagt Markus Koch von Deloitte, der sich wie viele Unternehmensberater zurzeit intensiv mit der Digitalisierung beschäftigt.

Auf breiter Front erwacht

Die Geschwindigkeit und das Ausmass der Veränderungen haben für viele Firmen etwas Furchteinflössendes an sich. Dass Apple nur zehn Jahre nach der Lancierung des iPhones zum Konzern mit dem weltweit höchsten Börsenwert aufgestiegen ist, lässt niemanden kalt. Auch Alphabet, die Muttergesellschaft des Suchmaschinenbetreibers Google, hat sich dank der Digitalisierung eine enorme Macht verschafft. Der Konzern verdient ähnlich wie Facebook mit Werbung im Internet Milliarden – auf Kosten traditioneller Medienunternehmen, von denen vor wenigen Jahren noch viele selbst die Hoffnung hegten, dank dem Internet riesige neue Einnahmequellen zu erschliessen.

Wer so viel Geld verdient, kann diese Mittel in den Aufbau neuer Standbeine investieren. Entsprechend gross ist die Furcht vieler Unternehmen, durch die amerikanischen Technologiekonzerne oder andere aufstrebende Firmen in ihrem angestammten Geschäft herausgefordert zu werden. Was passiert beispielsweise, wenn die von Alphabet entwickelten selbstfahrenden Fahrzeuge den Durchbruch schaffen? Müssen traditionelle Automobilhersteller sich dann mit der Rolle eines Zulieferers begnügen, der nur noch das Chassis liefert oder die Endmontage übernimmt, während Alphabet das grosse Geld mit der Vermarktung des Google Car macht?

Kein Unternehmen will es so weit kommen lassen. Firmen seien in den letzten fünf Jahren auf breiter Front erwacht, sagt Dwight Cribb, der Gründer und Inhaber der gleichnamigen Hamburger Personalagentur, die sich auf die Vermittlung von Führungskräften mit digitalem Know-how spezialisiert hat. Doch während jedem Management inzwischen bewusst sei, dass man der neuen Konkurrenz etwas entgegensetzen müsse, sei oft unklar, wie man die Herausforderung anpacken solle.

Diese Erfahrung macht bei seiner Arbeit auch der Unternehmensberater Koch. Er empfiehlt Kunden, sich erst einmal zu fragen, ob sie die richtige Organisation hätten, um schnell neue Geschäftsmodelle aufzubauen, die mit der digitalen Welt kompatibel sind. Die heutige Aufstellung vieler Firmen gilt dabei eher als Hindernis, wie auch Personalberater Cribb betont. Mitarbeiter unterschiedlicher Abteilungen wie Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion und Marketing müssten dabei projektbezogen eng zusammenarbeiten. Die Zeiten, in denen eine Geschäftsidee zur Ausführung in die eine Abteilung und von dieser dann zur nächsten weitergereicht worden sei, gehörten weitgehend der Vergangenheit an, meint Cribb.

Wenn Firmen wie Silos sind

Erstaunlicherweise funktionieren viele Firmen noch wie Silos. Koch hat in der Schweiz schon Fälle angetroffen, bei denen sich die Mitarbeiter der einzelnen Abteilungen nicht kennen, obwohl die gesamte Verwaltung auf nur drei Stockwerke verteilt ist. Als nachteilig erachtet der auf Hersteller von Konsum- und Industriegütern spezialisierte Berater auch eine Firmenkultur, die keine Fehler verzeiht. Es müsse Mitarbeitern explizit erlaubt sein, mit einer neuen Geschäftsidee zu scheitern, sagt er.

Erfahrungsgemäss funktioniert längst nicht alles, was auch in der Digitalisierung erfahrene Firmen wie Alphabet, Google oder der Internet-Versandhändler Amazon erproben. Doch mit jedem Misserfolg lerne man dazu, meint Koch überzeugt. Er warnt davor, abzuwarten in der Hoffnung, man könne dadurch die Fehler von Konkurrenten vermeiden. Lieber experimentiere man selber frühzeitig. Im umgekehrten Fall, wenn ein neues Geschäftsmodell einschlägt, besteht zudem die Gefahr, dass kaum noch Zeit bleibt, den erfolgreichen Anbieter herauszufordern. «The winner takes it all» ist bei neuen digitalen Angeboten oft die Regel, wie der Erfolg des Taxidienstes Uber oder des Gästezimmer-Vermittlers Airbnb zeigt.

Ein weiterer zentraler Schritt bei der Transformation eines Unternehmens ist die Evaluation der Mitarbeiter. Hier gilt es abzuklären, ob sie die nötige Flexibilität haben, um sich laufend von Bestehendem zu verabschieden und Neuem zuzuwenden. Cribb rät, besonders das Topkader sorgfältig zu analysieren. Viele Spitzenmanager seien in einer Zeit gross geworden, als Berechenbarkeit über allem gestanden habe. Noch heute werde ein Konzernchef häufig daran gemessen, wie gut die Erwartungen an den Geschäftsverlauf im jüngsten Quartal erfüllt worden seien. In der schnelllebigen digitalen Welt verläuft das Geschäft oft weniger geradlinig. Gefragt sind Manager, die möglichst viele Innovationen anstossen und dabei in Kauf nehmen, dass nicht alle Neuentwicklungen zum Erfolg werden.

Trutzburgen schleifen

Laut Dwight Cribb und Markus Koch müssen Firmen auch lernen, verstärkt mit externen Partnern zu kooperieren. Dies können Startups mit besonderen Fertigkeiten, Kunden oder gar Konkurrenten sein. Man müsse sich davon verabschieden, wie eine Trutzburg zu funktionieren, die jede noch so kleine Idee lieber für sich behalte, sagt Cribb. Bei all diesen Veränderungen ist aber Geduld gefragt. Um eine Firma mit einer gewissen Grösse neu aufzustellen, seien eher fünf bis zehn als drei Jahre nötig, fügt der Spezialist für digitale Transformationen hinzu. So rasend schnell scheint dann doch nicht alles zu gehen.

Der Artikel erschien zuerst am 1. Juni 2017 auf NZZ online und am 2. Juni in der Print-Ausgabe.